Niederberger Reformationstext 2017

Reformation im Rheinland. Seit 1517.

Die Kreissynode des Kirchenkreises Niederberg hat beschlossen, einen „Niederberger Text“ zum Reformationsjubiläum zu verfassen. Einerseits wird im Jahr 2017 mit dem Thesenanschlag Martin Luthers an die Wittenberger Schlosskirche das 500. Reformationsjubiläum gefeiert. Andererseits ist immer „Reformationszeit“. Es gilt immer wieder neu im Blick auf die Wurzel zu fragen, ob die Gemeinden und Kirche auf dem „richtigen Kurs“ sind. Wer will, dass die Kirche bleibt, darf nicht wollen, dass sie bleibt wie sie ist. Auf die gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen und Herausforderungen müssen wir angemessen reagieren. Also hat sich eine Arbeitsgruppe ans Werk gemacht. Ziele waren: Ein kurzer Text, nicht alles sagen, aber Wesentliches anregen. Schnell wurde klar: Es geht nicht um eine weitere theologische Stellungnahme, sondern um 10 Perspektiven für den Kirchenkreis Niederberg und seine Gemeinden in den nächsten Jahren im Lichte der Reformation.

In allen Gemeindebriefen für den Monat Oktober 2017 werden diese Perspektiven veröffentlicht. Sie wollen zur Diskussion anregen, Themen und Schwerpunkte setzen und uns helfen, miteinander die richtigen Entwicklungen zu fördern.

Zugleich veröffentlichen wir einige „Reformatorische Sätze“, in denen theologische Fragen kurz, knapp und herausfordernd anklingen. Auch diese Sätze – ein Nebenprodukt aus der Arbeitsgruppe – möchten Sie anregen zum Nachdenken über Gott und die Welt und sich selbst. Damit wir Kirche so leben können, wie es das Motto des rheinischen Jubiläumsjahres ausdrückt: Vergnügt – erlöst – befreit!

10 Niederberger Perspektiven. Reformation konkret 2017.

Gottesdienst
Gott ist da für uns. Und wir bringen uns und unser Leben vor Gott. Gottesdienst feiern wir am Sonntagmorgen in der Kirche und ebenso alltags in der Schule, in der Kindertagesstätte, im Krankenhaus oder im Altenheim. Gottesdienste sind feierlich, ernsthaft, tröstend, fröhlich, bunt. Gottesdienste geben der Kirche „Herz und Seele“, sie sind nahe am Wort Gottes und nahe bei den Menschen. Viele beteiligen sich, bringen sich und ihre Anliegen ein und achten auf eine aktuelle Sprache.

Ehrenamtliche Mitarbeiter*innen
Ehrenamtliche arbeiten schon jetzt in allen Bereichen der Kirchengemeinde mit. Die Gemeinde vertraut ihnen viel an und traut ihnen viel zu. Wahrscheinlich werden wir in Zukunft weniger Hauptamtliche in den Gemeinden haben. Deshalb werden Pfarrer*innen, Jugendleiter*innen und Kirchenmusiker*innen mehr als bisher die Ehrenamtlichen gewinnen, begleiten und unterstützen, damit diese die Gemeindearbeit noch aktiver gestalten können.

Musik in der Kirche
In jeder Kirchengemeinde im Kirchenkreis Niederberg spielt Musik eine wichtige Rolle.Wir erleben eine großartige Bandbreite: Von der klassischen Kirchenmusik über Gospelchöre bis zu Jugendbands. Die Musik bereichert die Gottesdienste zum Lob Gottes, und sie bringt die Musizierenden als Gemeinschaft zusammen. In besonderen Projekten fördern wir die musikalischen Kooperationen auch über Gemeindegrenzen hinweg.

Kirche und Diakonie
Die Weitergabe der Guten Nachricht von Gottes Gnade geschieht nicht nur im Reden, sondern auch durch Tun. Die Diakonie ist ein unaufgebbarer Teil kirchlicher Arbeit. Diakonie bedeutet „dem nächsten Menschen dienen“. Das geschieht in jeder Kirchengemeinde. Diakonie vor Ort vollzieht sich z. B. durch konkrete Hilfen für Einzelne oder durch besondere Angebote wie ein Demenzcafé oder eine Kleiderkammer. Übergreifende diakonische Aufgaben, die eine Gemeinde alleine nicht erfüllen kann, führt die Bergische Diakonie für den Kirchenkreis Niederberg aus. Alle ihre Angebote sind aus einer Hand und unter einem Dach in der Oststraße in Velbert erreichbar. Dazu gehören die Beratungsstellen, die Tafel und viele weitere Hilfen. Und im Diakonischen Werk Niederberg verbinden wir die Kirchengemeinden und die Bergische Diakonie miteinander, damit die Nähe zur Gemeinde gelebt wird und Diakonie auf allen Ebenen vernetzt ist.

Kinder und Jugendliche in der Kirchengemeinde
In den Kirchengemeinden verbinden sich die unterschiedlichen Generationen miteinander. Es geht darum, Gemeinschaft mit vielen verschiedenen Menschen zu erleben. Kinder und Jugendliche sind dabei nicht nur die ’Zukunft der Gemeinde’, sie sind wichtige Akteure und ihre ‘Gegenwart‘. Es gibt zur Zeit Trends in unserer Gesellschaft, z.B. Abbrüche in der christlichen Erziehung in Familien, die es sinnvoll machen, einen besonderen Schwerpunkt auf die Arbeit mit Kindern und jungen Menschen zu legen.
Deshalb legen die Kirchengemeinden großen Wert auf die Arbeit der evangelischen Kindertageseinrichtungen. Viele von ihnen werden zurzeit durch einen Trägerwechsel hin zum Kirchenkreis organisatorisch neu aufgestellt und zukunftsfähig gemacht. Damit sie vor Ort in den Gemeinden ihre gute Arbeit fortsetzen können.
Außerdem stehen die Kirchengemeinden ein für eine gute Konfirmandenarbeit und verknüpfen sie mit den Jugendgruppen oder Zentren. Die Verbindung zu den Schulen und Berufskollegs wird gewährleistet.

Ökumene
Die evangelischen Kirchengemeinden freuen sich über die gute Partnerschaft mit ihren katholischen und freikirchlichen Nachbargemeinden. Uns alle verbindet der gemeinsame Aufruf Jesu zur Einheit im Glauben. Durch gemeinsame Erfahrungen und durch das Kennenlernen der Profile der anderen können wir uns auch mit den theologischen Unterschieden konstruktiv auseinander setzen. Ein konkreter Wunsch für die Zukunft: Dass Eheleute und Familien mit unterschiedlichen Konfessionen nicht nur das Abendmahl, sondern auch die Eucharistie gemeinsam feiern können!
Die Anliegen der weltweiten Ökumene und die Solidarität mit Menschen, die unter ganz anderen wirtschaftlichen Bedingungen leben, pflegen wir in unserer Partnerschaft mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kenia. Es gilt nach wie vor der Leitsatz: Global denken. Lokal handeln.

Mittendrin in der Gesellschaft
Die Kirchengemeinden und die Einrichtungen des Kirchenkreises leben ‘mittendrin‘. In der Mitte der Gesellschaft zu sein ist eine wesentliche Herausforderung unserer Zeit. Dort kann es auch ungemütlich werden. Denn in der Mitte nehmen wir die Probleme differenziert wahr, widerstehen schnellen, scheinbar einfachen Lösungen und stärken die Gemeinschaft. Als Christen gestalten wir die Entwicklung unserer pluralistischen und offenen Gesellschaft mit. Die Kirchengemeinden stärken die Demokratie, sie wenden sich gegen populistische Vereinfachungen, sie setzen sich ein für soziale Gerechtigkeit, sie beteiligen sich an der Integration von Flüchtlingen und sie suchen das Gespräch mit Menschen anderen Glaubens. Sie bieten Seelsorge an, gerade auch dort, wo besondere Herausforderungen gestellt sind: Im Krankenhaus, in Altenheimen, bei der Notfallseelsorge.

Netzwerkarbeit – Wir sind Nachbarn. Alle.
Das Knüpfen von sozialen Netzwerken in den Vierteln, Stadtteilen oder Dörfern, in denen die Kirchengemeinden aktiv sind, ist eine Zukunftsaufgabe. Gemeinden bieten sich als Plattform und Freiraum für viele Interessierte an, damit vor Ort etwas Neues wachsen kann. In diesen Arbeitsformen engagieren sich besonders viele Menschen im Übergang zwischen Arbeit und Rente. Ihr Erfahrungsschatz und ihr Engagement sind die Grundlage, die wir durch die Evangelischen Erwachsenenbildung und die Gemeinwesen-Diakonie unterstützen können.

Strukturen
Der Rückgang an Gemeindemitgliedern und an finanzieller Kraft kann es nötig machen, neu über die jetzigen Formen der Kirchengemeinden und auch des Kirchenkreises Niederberg nach-zudenken. Wichtiger als das Festhalten an den momentanen Grenzen und Strukturen ist das Bewahren der vielfältigen Arbeit und Angebote. Die ‘Strukturen‘ müssen sich an den ‘Inhalten‘ ausrichten. Es kann sein, dass Fusionen nötig werden oder andererseits auch neue, kleine Initiativen entstehen, um Evangelische Gemeindearbeit weiter zu entwickeln. Neue Formen des Gemeindelebens können wachsen. Einzelne Gemeinden gewinnen ein deutliches Profil. Schwerpunktbildungen, Zentren und Zusammenarbeit in Kooperationsräumen erscheinen als gute Alternativen. Denn in Zukunft wird nicht mehr jeder alles machen können.

Leichtes Gepäck
Die Evangelische Kirche im Rheinland mit ihren Gemeinden und Kirchenkreisen schleppt zu viel Ballast mit sich herum. Sie hat zu viele Regelungen, Vorschriften und Gesetze entwickelt, die das Gemeindeleben erschweren. Ordnungen sollen den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Eine Kirche gründet auf dem Vertrauen zu Gott und nicht auf dem Papier. Zu viele Ressourcen werden zurzeit gebunden. Wir müssen eine „Kirche mit leichtem Gepäck“ werden, Bürokratie abbauen und mehr Freiräume eröffnen, z.B. für Vereinfachungen bei Presbyterwahlen, in der kirchlichen Verwaltung oder bei der Zugehörigkeit zu einer Kirchengemeinde.

  • Tobias Albers-Heinemann (Pixabay)